Balloon

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Rezensionen

NZZ am Sonntag 21.01.2021

Als der Grossvater stirbt, soll Drolkar nochmals ein Kind bekommen, damit der Tote wiedergeboren werden kann. Aber die dreifache Mutter möchte nicht. So gerät die Tibeterin in einen Konflikt zwischen einer vom Glauben geprägten Tradition und harter Lebensrealität. Jetzt auf Filmingo.ch.

Es ist ihr unaussprechlich peinlich. So peinlich, dass sie sich nur ihrer Ärztin persönlich anvertrauen kann und dafür den langen Weg aus ihrem tibetanischen Dorf in die Stadt auf sich nimmt. Drolkar (Sonam Wangmo) braucht dringend Kondome. Denn nachdem ihre zwei jüngsten Söhne unter dem Kopfkissen der Eltern lustige «Ballone» fanden und sie für Spielzeug hielten, steht die junge Mutter unter Druck. Sie möchte nicht noch ein Kind.

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Drolkar und ihr Mann Dargye haben bereits drei Söhne, und auch der Grossvater lebt bei ihnen. Das Schulgeld für den Ältesten können sie nur bezahlen, wenn sie dafür eines ihrer mühsam herangezüchteten Schafe verkaufen, für jedes weitere Kind müssten sie ein Strafgeld an die chinesische Zentralregierung zahlen. Als der Grossvater stirbt und die Frage im Raum steht, in wessen Körper er nach buddhistischem Glauben wiedergeboren wird, wird Drolkars Konflikt zur Familienangelegenheit.

Was zuerst als fernöstliche Emanzipationsgeschichte daherkommt, zeigt sich als exemplarische Erzählung über den Konflikt zwischen einer vom Glauben geprägten Tradition und harter Lebensrealität.

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Die erste Version seines Drehbuches für «Balloon» wurde von der Zensurbehörde in Peking abgelehnt, worauf Tseden es kurzerhand zu einem Roman erweiterte. Als tibetischer Autor und Regisseur setzt er sich so nicht nur mit den Veränderungen in der örtlichen Bevölkerung auseinander und hinterfragt die Bedeutung der buddhistischen Tradition, sondern er lotet als einer der wenigen tibetischen Filmemacher auch seine Möglichkeiten innerhalb eines repressiven Systems aus.

Tseden erweist sich als geschickter Fürsprecher der seit Jahrzehnten unter enormen Repressionen leidenden Bevölkerungsgruppe der Tibeter. Dass seine Filme auch international Beachtung finden, liegt jedoch an der Intensität seines Filmschaffens: an seinem eigenständigen filmischen Duktus und seinem feinen Gespür für Zwischenräume zwischen Systemen, Tradition und Moderne und letztlich Tod und Wiedergeburt.

Regisseur Pema Tseden («Tharlo» 2015) vermittelt mit seiner Erzählung, zu der ihn ein davonfliegender Ballon inspirierte, ein breites Spektrum der tibetischen Kultur. Er wählt seinen Heimatort am Ufer des Qinghai-Sees als Drehort aus, was sich in seiner Selbstverständlichkeit im Umgang mit Natur und Menschen zeigt.

Indem er grösstenteils auf Totalen verzichtet – sich damit vielleicht auch einer westlich geprägten Sicht auf die tibetische Bildwelt verweigert –, lenkt er den Fokus auf das Zusammenleben der Familie auf engstem Raum. Um nicht allzu leichtfertig in einen Sozialrealismus abzugleiten, bricht Tseden seine Erzählung wiederholt mit entrückten Traumsequenzen, die die Gefühlswelt der Hauptdarstellerin – ihrer sprachlosen Zerrissenheit – Raum geben. Es sind kontemplative Zäsuren im Erzählstrang.

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Pema Tseden, China 2019