Ein junger Staatsanwalt kommt in eine abgelegene türkische Kleinstadt und wird mit den korrupten und kriminellen Machenschaften der Lokalpolitiker konfrontiert. Der neue Politthriller von Emin Alper ist erfrischend anders, scharfsinnig und mutig.
Eine Blutspur zieht sich durch das anatolische Städtchen Yaniklar am Tag, an dem der junge Staatsanwalt Emre (Selahattin Pasali) seine neue Stelle antritt. Die Hinterlassenschaften der traditionellen Hetzjagd auf Wildschweine, bei der sich die Männer, jung und alt, mit ihren Gewehren gerne auch einmal so richtig gehen lassen, heissen den sensiblen Städter willkommen. Und sie geben ihm eine Vorstellung davon, worauf er sich einlässt und was ihn erwartet.
Der Hauptdarsteller in Emin Alpers neuem Politthriller entspricht so gar nicht der autoritären und von Machismus geprägten Vorstellung eines Amtsträgers. Dass sein Vorgänger unter ungeklärten Umständen sehr plötzlich seinen Posten aufgegeben hat, ist ihm bekannt. Emre aber ist fest entschlossen, endlich für Ordnung zu sorgen und sich der eigentlichen Probleme im Ort anzunehmen. Bald wird klar, dass für den Wassermangel und die plötzlich auftretenden Senklöcher eine korrupte Machtelite verantwortlich ist, die sich aber darin versteht, die Gemüter auf populistische Weise zu steuern.
Verkörpert werden Letztere durch ein wunderbar besetztes Duo: Der unantastbare Sohn des Bürgermeisters İlhan (Sinan Demirer) und sein treuer Hintermann, der gefährlich einfältige Zahnarzt Kemal (Erdem Şenocak) scheinen in Yaniklar alle Fäden in ihren Händen zu haben. Doch in Emin Alpers fiktiver Musterstadt lässt sich zwischen Gut und Böse dann doch nicht ganz so leicht unterscheiden. Die wohlwollenden Ratschläge der Richterin erweisen sich als trügerisch, und auch ein oppositioneller Journalist kommt Emre zu nahe und scheint immer allzu schnell zur Stelle.
Der Staatsanwalt, der sich selbst für unkorrumpierbar hält, muss sich auf das Spiel einlassen, um es gewinnen zu können. An einem verhängnisvollen Abend im Garten des Bürgermeisters verliert er jedoch die Kontrolle und kann sich am nächsten Morgen nur noch an Bruchstücke erinnern. In der meisterhaft inszenierten Essensszene, deren Dreh vier Nächte in Anspruch nahm, arbeitet Alper wunderbar die Feinheiten dieses Machtspieles heraus, in dem die ärgste Drohung mit einem Lächeln ausgespielt wird.
Für Emre beginnt seine ganz eigene Jagd nach der Wahrheit, während in der Öffentlichkeit diffamierende Gerüchte das Bild von ihm prägen. In der besagten Nacht ist es zu einer Gewalttat gekommen, bei der er nicht ausschliessen kann, zu den Tätern zu gehören. Mit dem, was Emre glaubt, was er weiss und was er sich selbst glauben lassen will, strickt der türkische Filmemacher ein dichtes Netz.
Mit seiner schlichten, doch wirkungsvollen Bildsprache und sicherem Gespür für Spannung zieht er einen mit in Emres abgründige Verstrickungen, deren Ende offenbleibt. Nicht die eigentlichen Geschehnisse, sondern die Strukturen, die auch den Tugendhaftesten scheitern lassen, stehen im Mittelpunkt. Alpers Erzählung wird zu einer beeindruckenden und universellen Parabel über autoritären Populismus. Auch die gewaltsame Diskriminierung der Roma-Minderheit und allgegenwärtige Homophobie spielen eine bedeutende Rolle, sie werden wie Figuren auf einem Schachbrett in den kriminellen Machenschaften instrumentalisiert.
Um seinen Film in der Türkei in dieser Form realisieren zu können, musste Emin Alper sein Drehbuch geheim halten. Jetzt, da «Burning Days» international Erfolge feiert, sind die heiklen Themen auf dem Tisch. Man muss ihm und allen Darstellern für ihren Mut zusätzlichen Respekt zollen, denn es ist nicht auszuschliessen, dass sie zukünftig Repressalien ausgesetzt sein werden. In gewisser Weise eine weitere Hetzjagd auf kritische Kulturschaffende, die sich ausserhalb unserer Sichtweite abspielt.