Ein Esel wie wir
Ein Roadmovie mit einem Esel? Dass das geht und erst noch heiter sein kann, zeigt der polnische Regiemeister Jerzy Skolimowski in seiner Fabel «EO» – und wirft damit einen entblössenden Blick auf das grausamste aller Tiere, den Menschen.
Die Reise des vierbeinigen Hauptprotagonisten beginnt unfreiwillig. Gerade noch stand der Esel Eo neben seiner menschlichen Show-Partnerin Kasandra in der Zirkusmanege tief in der polnischen Provinz, als Tierschützer alle Tiere konfiszieren und ihn auf einen Esel-Gnadenhof bringen. An dieser Stelle könnte «EO» schon ein einfaches Happy End finden, doch Altmeister Jerzy Skolimowski hat noch einiges vor mit seinem ungewöhnlichen Hauptdarsteller mit dem melancholischen Blick.
Er entwirft eine einfühlsame Fabel über das Schicksal dieses vermeintlich unmündigen Wesens und inszeniert – wie auch schon Robert Bresson in «Au hasard Balthazar» – die Gefühlswelt eines Esels. Und mehr noch, Skolimowski gibt ihm einen eigenen Willen. In seiner zeitgenössischen Hommage bricht der kluge Eo, der kein Interesse an seinen Artgenossen zeigt, aus der Einsamkeit aus, um wieder zu seiner fürsorglichen, aber impulsiven Zirkusfreundin zu finden. Es beginnt eine Odyssee durch Wälder, Dörfer und Strassen, verschiedene Ställe und edle Häuser. Immer wieder kommt Eo frei und geht seinen Weg, der ihn bis nach Italien führt.
Mit sehr viel Einfallsreichtum verknüpfen Jerzy Skolimowski und Co-Drehbuchautorin Ewa Piaskowska Eos Geschichte mit den kleinen und grossen Themen unserer Zeit. In einem Moment fällt Eo im Wald ein toter Vogel vor die Füsse, von einem Windrad erschlagen. Dieses Bild lässt sich als Hinweis auf den Konflikt zwischen dem Artenschutz und der Erschliessung erneuerbarer Energie lesen. In einer anderen Szene wird der Esel, so lustig und absurd, wie es klingen mag, zum Helden einer lokalen Fussballmannschaft, um gleich darauf das unschuldigste aller Opfer einer rechten Schlägertruppe zu werden.
Menschen kommen in «EO» selten gut weg, und der Esel tut gut daran, seinem Ruf als stures und misstrauisches Wesen zu folgen. Diese beobachtende und distanzierte Perspektive nimmt auch die bewegte Kamera von Michal Dymek ein, was in dem sonst so menschenzentrierten Medium Film eine wunderbare und erfrischende Erfahrung ist.
Leider lässt sich das Drama dann doch noch dazu hinreissen, die Bühne in einer kleinen Nebenerzählung über eine verarmte Gräfin der ikonischen Schauspielerin Isabelle Huppert zu überlassen. Die unvermittelte Streitszene wirkt inkonsequent, ist aber doch ein wirkungsvoller Einschnitt in die Erzählung. Ist es ihre edle Verkommenheit, die Eo endgültig den Glauben an die Menschheit verlieren lässt?
Jerzy Skolimowski, der für seine Tierliebe bekannt ist, nannte «EO» seinen relevantesten Film. Sicher ist: Mit «EO» hat er eine tierische Passionsgeschichte geschaffen, die einen entblössenden Blick auf das grausamste aller Tiere, den Menschen, wirft.