Der Oscar-Gewinner Ryûsuke Hamaguchi erzählt in seinem neuen Episodenfilm von drei konfliktgeladenen Beziehungen. Sein Drama schärft den Blick für die magischen Momente von Begegnungen und wie diese uns verändern.
Meiko und Tsugumi teilen sich ein Taxi und fahren nach einem gemeinsamen Arbeitstag durch eine nächtliche japanische Grossstadt nach Hause. Endlich haben die Freundinnen etwas Zeit, um sich das Neuste zu erzählen. Tsugumi strahlt und schwärmt zuerst verhalten, dann immer freizügiger von ihrem neuen Crush. Meiko freut sich mit ihr und will ganz genau wissen, wie es um Tsugumi und diesen Kazuaki steht.
In kürzester Zeit baut der japanische Regisseur Ryûsuke Hamaguchi eine innige Intimität zwischen den beiden Frauen auf, nur um uns gleich darauf an ihr zweifeln zu lassen. Denn am gleichen Abend noch überrascht Meiko ebendiesen jungen Mann mit einem Besuch, von dem die Freundin im Auto geschwärmt hatte. Kazuaki ist ihr Ex-Freund, und sie will ihn zurückerobern.
Meiko ist so schwer zu durchschauen wie auch die anderen Figuren in dem Drama, das aus drei unabhängigen Episoden aufgebaut ist. Ihre Ambiguität ist exemplarisch. Sie lässt nicht durchblicken, dass sie in den Ausführungen ihrer Freundin ihren Verflossenen erkennt, und auch im Folgenden macht sie überraschende Wandlungen durch.
Sie ist hin- und hergerissen zwischen der Liebe, die sie für beide, Kazuaki und Tsugumi, empfindet. Wichtiger noch als ihre sichtbaren Handlungen sind aber die Regungen, die sich im Inneren der Protagonistinnen und Protagonisten abspielen. Durch die Nähe, die der Regisseur in seinen intensiven Dialogszenen aufbaut, macht er diese erfahrbar.
Dass Ryûsuke Hamaguchi dem Dialogischen eine besondere Bedeutung zukommen lässt, konnte man bereits in seinem letzten Film beobachten. In «Drive My Car» (2021), für den er kürzlich mit einem Oscar ausgezeichnet wurde, vollzog er die Wandlung seiner Hauptfigur ebenfalls anhand des gesprochenen Wortes.
Für sein jüngstes erzählerisches Dreigespann nun kondensiert er die Dialoge noch stärker. Besonders fesselnd dargestellt in der Situation in der zweiten Episode zwischen dem Professor und dessen Schülerin Nao. Aus Rache will diese ihm eine Venusfalle stellen und legt es unverfroren darauf an, diese auch zuschnappen zu lassen.
Durch eine sehr reduzierte, konzentrierte und einfallsreiche Kameraführung inszeniert Hamaguchi ihre Begegnung im Arbeitszimmer in einer über 20-minütigen Szene. Der Fokus liegt dabei ganz auf den Wörtern, die stetig Brücken zwischen den Figuren bauen. Dabei befolgt Hamaguchi den Rat seines eigenen Protagonisten: Der Literaturprofessor verrät seiner Schülerin, dass er eine erotische Szene in die Mitte seines erfolgreichen Buches platziert hat, um seine Leserinnen und Leser an diesem Punkt zu fesseln.
Die Liebe, von der in «Wheel of Fortune and Fantasy» die Rede ist, ist nicht die überhöhte, romantisch verklärte. Es sind tiefe Empfindungen, von denen die Figuren geprägt sind, die auf ihren Beziehungen und Erfahrungen aufbauen, die vielschichtig und komplex sind.
Allen drei Erzählungen gemein ist, dass sie ein versöhnliches Ende suchen. Sie kommen an einen Punkt, an dem die Wandlung einer Figur, an der Hamaguchi einen teilnehmen liess, vollendet wird. Am deutlichsten zeigt dies wohl die letzte Episode: In den Leben von zwei Frauen, die sich zufällig begegnen, stellt das Unausgesprochene eine ewige Last dar. Deren können sie sich durch ihre wunderbare, spontan geschlossene Freundschaft endlich entledigen.
Hamaguchi sagt uns nicht, was wir aus den drei Geschichten mitnehmen sollen. Statt uns belehren zu wollen, wirkt dieser Film eher so, als ob er einen tatsächlich kleine Wunder bezeugen liesse. In einem Spiel des Lebens, das der Regisseur auf das schicksalhafte Gleichgewicht von Glück und Phantasie zurückführt.